Samstag, 24. Januar 2009
 
Keine halben Sachen? - Debatte Grundeinkommen vs. Grundsicherung PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Stefan Mayer   
Montag, 16. Oktober 2006

Nicht erst seit Alfred Gusenbauer nach dem Wahlsieg der SPÖ dem Thema Grundsicherung eine breitere mediale Aufmerksamkeit verschafft hat, erhitzt die Frage Grundsicherung oder bedingungsloses Grundeinkommen die Gemüter. Während man sich vom Modell des bedingungslosen Grundeinkommens eine Entkoppelung von Lohnarbeit und Existenzsicherung erhofft, wird die Grundsicherung als Instrument zur Armutsbekämpfung von vielen als realistischer und dringender notwendig beurteilt. Eine (zusammengefasste) akin – Debatte aus aktuellem Anlass.

Vor den Nationalratswahlen erschien in der akin (Ausgabe Nr. 21/12.9.'06) unter dem Titel „Halbe Sachen - Ueber die "Gruene Grundsicherung" und andere Feigheiten“ ein Artikel von Bernhard Redl, indem er die Grünen kritisierte, weil sie seiner Meinung nach zwar noch immer wichtige Themen ansprächen und Forderungen aufstellten, mittlerweile jedoch bei medialer Kritik meist beschwichtigen und abschwächen würden, statt politisches Profil zu entwickeln und wenn nötig anzuecken. Als Beispiel führte er unter anderem die „Grüne Grundsicherung“, an der er kritisiert, dass sie der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (GEK) „in den Rücken“ fiele. Dieses sei „ein Konzept nicht nur zur Behebung der Armut, sondern auch zum Empowerment. Denn damit faellt der Druck auf die Menschen weg, bei AMS und Sozialamt knieen zu muessen. Die Demuetigung waere passé. Genauso faellt der Druck weg, staendig um seinen Arbeitsplatz fuerchten zu muessen. Und ploetzlich koennten sich die Menschen ueberlegen: "Was mache ich mit meinem Leben, damit es ein schoenes Leben ist?" Und die "Arbeitgeber" muessten sich anstrengen und entsprechende Loehne zahlen sowie lebensfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen, die auch eine oede Hacken attraktiv machen, denn die Reservearmee der Arbeitslosen gaebe es nicht mehr.“ Während die Grundsicherung nur eine „klassisch sozialdemokratische Verbesserung unter Beibehaltung der Belohnungspolitik fuer Wohlverhalten und 'Arbeitswilligkeit'“ sei: „Die Almosenbettelei bei den Sozialstellen bliebe die selbe.“
(http://www.akin.mediaweb.at/2006/21/21wahl3.htm)

Markus Koza (AUGE/UG) argumentierte daraufhin in seiner Replik „Lieber 'Halbe Sachen' als 'ganze Bloedheiten'“, dass ein existenzsicherndes Grundeinkommen, unabhängig vom Bedarf, ein „gesellschaftlich organisierter Kombilohn“ sei, der die „Verteilungssituation schlichtweg umkehrt“: das Primäreinkommen würde durch den Staat verteilt, für das Sekundäreinkommen wäre der „Markt“ zuständig: „Der Staat, bislang boese, z.B. als Eigentuemer der Institution AMS, wird nun ploetzlich gut, weil er jedem und jeder ohne Bedarfspruefung ein GEK sichert - vom/von der Verelendeten bis zur/zum MilliardaerIn.“ - „Frage: warum sollte das der buergerliche Staat - bei aller Sozialstaatlichkeit, die allerdings ohnehin vermehrt unter Druck steht – der eigentlich primaer dafuer zustaendig ist, fuer guenstige Bedingungen fuer die Kapitalakkumulation zu sorgen, eigentlich tun?“ Koza meint, dass „eine "verteilungspolitisch" orientierte populistische Linke“ob der progressiv scheinenden Forderung des GEK einige Aspekte außer Acht ließe, wie beispielsweise die „leidige Finanzierungsfrage“: seiner Meinung nach wäre eine Erhöhung der Abgabenquote auf mindestens 52 % (bei Abschaffung sämtlicher anderer staatlcher Ausgaben für Sozialleistungen und Infrastruktur in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen, öffentlicher Verkehr etc.) beziehungsweise auf 72 – 80 % (bei Beibehaltung und Ausbau von Sozialleistungen und Infrastruktur) nötig, um das GEK finanzieren zu können. Eine höhere Besteuerung von Kapital und Vermögen reiche für eine Fianzierung nicht annähernd aus.

Außerdem würde Lohnarbeit durch sinkende Löhne bestenfalls noch ein öffentlich gefördertes und subventioniertes Zubrot zum „gesellschaftlich finanzierten Kombilohn“, ausserdem: „es wird ja wohl niemand ernsthaft glauben, dass die KapitalistInnenklasse nicht entsprechend reagieren wuerde?“ Durch Abwanderung von Kapital und Produktion sowie durch den Umstand, dass sich viele ArbeitnehmerInnen aus dem Produktionsprozess verabschieden würde, käme es schließlich zu wirtschaftlichem Niedergang und Stillstand. Visionäre Forderungen seien diskutabel, jedoch einige Antworten auf die soziale Frage sollten schnell gefunden werden und auch umsetzbar sein. (http://akin.mediaweb.at/2006/22/22grund1.htm)

Dieter Schrage hingegen wirft Redl „politische Fahrlässigkeit“ vor, da er fälschlich annehme, die Grünen würden dem GEK in den Rücken fallen, er befände sich außerdem mit seiner Forderung „in einem Boot mit vielen Neo – Liberalen“, die eine Grundeinkommen anstelle aller öffentlichen Sozialleistungen fordern. Langfristig wäre laut Schrage jedoch ein bedingungsloses Grundeinkommen durchaus ein denkbares Ziel, doch für die kommende Legislaturperiode habe eine bedarfsorientierte Grundsicherung in Verbindung mit anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut, wie etwa einem Mindest - Stundenlohn von 7 Euro (brutto) als kurzfristige, realistische und finanzierbarer Umsetzungsschritt Priorität. (http://akin.mediaweb.at/2006/22/22grund3.htm)

Karl Öllinger verweist in seiner Reaktion darauf, dass auch Götz Werner, Chef eines großen Konzerns, viel Geld dafür ausgibt, um in großen deutschen Medien für ein „garantiertes Grundeinkommen“ zu inserieren, allerdings im Sinne einer radikalen Vereinfachung der „Sozialbürokratie“, alle Sozialleistungen sollten bis auf das GEK gestrichen werden und auch dass Steuersystem mit einer Verbrauchssteuer von 50 % radikal vereinfacht werden, was er als unsozial bezeichnet. Er kritisiert am Grundeinkommen, dass es die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen ausser Acht lasse, und tritt daher für das Grundsicherungsmodell ein, mit dem er folgendes erreichen möchte: 1. die Entschärfung des sogenannten „Lohnabstandsgebots“, dem er das Recht auf Existenzsicherung entgegensetzt; 2. eine Öffnung des sozialen Sicherungssystems sowie 3. die Beseitigung oder zumindest Verringerung der steigenden Armut. (http://akin.mediaweb.at/2006/22/22grund2.htm)

In einem neuerlichen Kommentar unterstreicht Redl, dass es selbstverstädnlich sei, sich von Konzepten wie dem erwähnten von Götz Werner zu distanzieren: derartige Konzepte würden in Richtung „flat tax“ und "Armut fuer alle, nur nicht fuer uns" gehen. Es sei aber notwendig, über radikale Forderungen wie ein soziales, bedingungsloses GEK nachzudenken, da man nur durch den Mut und den Willen zu radikalen Forderungen gesellschaftliche Veränderungen in Richtung einer sozialeren und gerechteren Gesellschaft herbeiführen könne. Man müsse auch den Mut haben politisch anzuecken: „radikale Forderungen aufstellen und an ihnen auch im medialen Sturm festhalten - anstatt beim leisesten Mailuefterl sich ins Niedrigenergiehaus zu verziehen“. (http://akin.mediaweb.at/2006/22/22grund4.htm)

Dietmar Köhler von der „Initiativgruppe Arbeitslosigkeit“ kritisiert am Grünen Modell der Grundsicherung, dass Erwerbsarbeitslose weiterhin durch paternalistische Maßnahmen wie Androhung von Sanktionen (etwa Kürzung der Ansprüche um 20 %) diszipliniert werden würden: „Das AMS entscheidet weiterhin, wer welche Arbeit annehmen muss. Existenzsicherung und menschenwuerdige Arbeitsbedingungen haben keine Bedeutung mehr.“ Daher bezeichnet er dieses Modell als „Gruene Grundsicherung mit Disziplinierungsrabatt“. (http://akin.mediaweb.at/2006/23/23grund1.htm)

Robert Reischer meint: „Eine Moeglichkeit waere es, das Modell der GGS als guten Schritt in die Richtung eines GEK zu verstehen, dazu muesste aber die Erkenntnis reifen, dass sich die beiden Modelle und ihre Verfechter nicht feindlich gegenueber stehen.“ Durch bestimmte Formen der Grundsicherung „wird selbstverstaendlich weder der Erwerbsarbeitsmarkt noch das darauf aufgebaute Sozialsystem abgeschafft. Aber natuerlich wuerden einige Formen der bisherigen Transferleistungen wie zB. Kinderbetreuungsgeld, Mindestpension oder Familienbeihilfe obsolet und koennten den Kosten eines GEK gegengerechnet werden.“ Der Vergleich mit dem „liberalen“ Modell des GEK oder bereits bestehenden Modellen (Portugal, Luxemburg oder Brasilien) eigne sich nicht, da diese nicht einmal den Anspruch erheben, Armut zu bekaempfen, Existenz zu sichern oder gar Freiheit zu schaffen. (http://akin.mediaweb.at/2006/23/23grund2.htm)

Der bislang letzte Debattenbeitrag von Dora Schimanko (Ausgabe Nr. 24/10.10 '06) vermisst die Bedachtnahme auf Marx oder die Geschichte der europäischen ArbeiterInnenbewegung und stellt die Frage, ob „man eine Bewegung fuer irgendeine Verbesserung der Lage der Bevoelkerung als mobilisierend fuer eine bessere Gesellschaftsordnung nuetzen“ könne. Für sie wäre eine Grundsicherung ein erster Schritt, kritisiert aber die Grünen, da sie sich ihre „linken Fransen“ abgeschnitten hätten. Darüber hinaus meint sie, dass „letztendlich [...] 'die Strasse' mehr durchgesetzt haben als jede Partei [dürfte] - auch wenn die eine oder andere Partei dann auf den Zug einer Bewegung aufgesprungen ist.“ (http://akin.mediaweb.at/2006/24/24dora.htm)

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